Nach der Vorbereitung herrschte Euphorie, jetzt steht der Fußball-Bundes­ligist VfB Stuttgart nach zwei Spieltagen der neuen Saison mit null Punkten auf einem direkten Abstiegsplatz. Der Mentaltrainer Mirko Irion spricht im Interview mit dem Stuttgarter Wochenblatt über den aktuellen Zustand der Mannschaft – und welchen Fehler Trainer Alexander Zorniger jetzt nicht machen darf.

 Herr Irion, warum hat der VfB aus Sicht eines Mentalcoaches einen solchen Fehlstart hingelegt?

Ich weiß gar nicht, ob es wirklich so ein großer Fehlstart des VfB war. Klar, nach dem Spiel gegen Manchester City (4:2, Anm. d Red.) herrschte wirklich eine riesige Euphorie. Aber man sieht ja trotz der Niederlagen, dass Alexander Zorniger das neue System im Groben schon etabliert hat. Es funktioniert, ist aber einfach noch nicht stabil genug. Für den Verein kommt es nach der vergangenen Saison auch nicht darauf an, die ersten beiden Spiele zu gewinnen, sondern mit der Saisonleistung die Klasse zu sichern.

 Trotzdem haben Fans, Medien und bestimmt auch Verantwortliche drei Punkte gegen den Hamburger SV erwartet.

Absolut. Aber für ein Ereignis wie den Platzverweis von Florian Klein in Hamburg sind Notfallpläne für das Spielsystem nötig, die zum jetzigen Zeitpunkt der Saison noch gar nicht ausgereift sein können. Aber wissen Sie was?

 Keine Ahnung.

Die Niederlage kann für den Verein sogar sehr wertvoll sein, wenn die richtigen Konsequenzen daraus gezogen werden. Denn aufgrund der Erfahrungen kann Alexander Zorniger jetzt Feinjustierungen am System vornehmen.

 Der VfB hat die ersten beiden Saisonspiele verloren, obwohl die Mannschaft jeweils überlegen war. Was kann das mit der Psyche eines Spielers machen?

Da im Fußball am Ende nur das Ergebnis zählt, kann das so weit führen, dass der Spieler vielleicht sogar infrage stellt, ob der eingeschlagene Weg überhaupt der richtige ist. Wenn er anfängt zu zweifeln, kann er seine optimale Leistung nicht mehr abrufen – und dann wird es für Zorniger unglaublich schwierig, sein Konzept noch umsetzen. Denn das funktioniert nur, wenn jeder absolut davon überzeugt ist. Da muss das ganze Funktionsteam nun sehr, sehr aufmerksam sein und gegebenenfalls sofort gegensteuern. Jetzt entscheidet sich, wohin der Weg in dieser Saison geht.

 Was muss Zorniger nun also vor dem Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt am Samstag machen?

Er sollte lieber vieles nicht tun – vor allem keine Schuldzuweisungen machen und sich zu sehr an Einzelsituationen und individuellen Fehlern aufhalten. Er muss versuchen, seinen Jungs klarzumachen, dass solche Niederlagen durchaus passieren können, und mit ihnen weiter positiv und lösungsorientiert arbeiten. Ich habe schon den Eindruck, dass der Trainer weiß, was er will. Er sollte sich jetzt durch die Öffentlichkeit nur nicht zu sehr unter Druck setzen lassen und auf solche Strömungen irgendwie reagieren. Denn das könnte zur Folge haben, dass er seine Souveränität und seine Glaubwürdigkeit verliert.

 Die meisten Spieler, auf die Zorniger setzt, haben die vergangene Horror-Spielzeitmitgemacht. Steckt das auch noch in den Köpfen?

Diese Erinnerungen sind natürlich noch präsent und können sich auch extrem auf die Leistungsfähigkeit auswirken. Hier ist es die Aufgabe von Philipp Laux, der den VfB ja sportpsychologisch betreut, Maßnahmen zu ergreifen, damit die Spieler frei und hoch motiviert ins Spiel gehen können und nicht den Rucksack aus der Vorsaison mit sich rumschleppen.

 Und was trauen Sie dem VfB Stuttgart in dieser Saison zu?

Der Verein befindet sich in einer schwierigen und entscheidenden Phase, weil jetzt gerade die Weichen für die Spielzeit gestellt werden. Wenn der VfB nicht in die falsche Richtung abbiegt, traue ich der Mannschaft durchaus einen Platz im gesicherten Mittelfeld zu. Dazu müssen aber alle geschlossen auftreten. Vor allem darf es jetzt nicht zu Differenzen zwischen Sportdirektor Robin Dutt und Trainer Alexander Zorniger kommen. Sie müssen weiterhin mit einer Stimme auf­treten, um eine gewisse Stabilität und Ruhe im Umfeld zu gewährleisten.

 

Zur Person:

Mirko Irion (42) ist Mental­trainer und betreibt eine Agentur in Wüstenrot bei Heilbronn. Zu seinen Kunden gehören Führungskräfte aus der Wirtschaft und Leistungssportler wie Ex-Fußball-Nationalspieler Timo Hildebrand, die ehemalige Biathlon-Weltmeisterin Simone Hauswald und Rennfahrer Patrick Eise­mann. 2011 ist er als Coach des Jahres ausgezeichnet worden.