Dialekt reicht nicht für Klopp-Effekt

12.10.2015

Demut ist der neue Trend der Bundesliga. Ziele werden nur noch vorsichtig formuliert, selbst die Größen der Branche ziehen mit. Doch wie kommt die organisierte Bescheidenheit an? Welche Gefahren hat sie? Mentalcoach Mirko Irion, der neben Top-Managern aus der Wirtschaft auch Profisportler wie etwa Ex-Nationalkeeper Timo Hildebrand berät, analysiert im Gespräch mit SPOX das Verhalten der Liga. Und: Er bricht eine Lanze für VfB-Retter Huub Stevens und Mentalwunder Jürgen Klopp.

SPOX: Herr Irion, auf Ihrem Twitter-Profil beschreiben Sie sich als Weltverbesserer, Philosoph und Querdenker. Welche dieser drei Figuren wäre der beste Fußball-Trainer?

Mirko Irion: Philosophische Ansätze braucht der Fußball nicht wirklich. Das mit dem Weltverbesserer ist ein persönlicher Ansatz, den braucht man im Profifußball ebenso wenig. Der Querdenker würde dem Fußball aber sicher nicht schaden.

Warum?

Der Querdenker ist jemand, der es schafft, Lösungen von einem in den anderen Bereich zu transferieren. Die Transferleistung bekommt er im Kopf gut hin. Er sucht Lösungen in neuen Lösungswegen, versucht auch mal unkonventionell zu denken, ohne dabei zu sehr ins Risiko abzudriften, sondern sehr wohl mit einem Ziel. Das könnte ein Fußballlehrer gut gebrauchen.

Gibt es einen Trainer, der Ihnen auf der mentalen Ebene besonders gut gefällt?

Jürgen Klopp.

Inwiefern?

Er ist authentisch. Klopp versteht aus seiner mentalen Konstitution etwas zu machen, was professionell ist und auch so wirkt. Er ist nicht aufgesetzt. Er ist, wie er ist und professionalisiert das. Das, was er macht, ist nicht ins Blaue hinein, sondern zielgerichtet. Auf diese Weise kommuniziert er auch. Klopp macht das bewusst, weil er weiß, welche Wirkung er auf seine Spieler hat.

Er hat mit seiner Art nicht nur seine Spieler erreicht, sondern auch die Öffentlichkeit. Durch seine Auftritte beim ZDF im Rahmen der WM 2006 ist er zu “Everybody’s Darling” der Republik aufgestiegen, mit den Erfolgen in Dortmund entstand ein Hype um ihn. Eine Pressekonferenz in Liverpool hat gereicht, um ganz England zu elektrisieren. Kann man das trainieren?

Erst einmal ist das angeboren. Das sind Prägungen, die wirken schon sehr früh im Elternhaus. Aber man kann auf der Basis dessen, was man wirklich ist, ein Training aufsetzen und das Ganze professionalisieren, damit das scharf ist und man Höchstleistungen vollbringen kann. Das muss aber in die gleiche Richtung gehen.

Das heißt: Man darf nicht jemanden darstellen, der man eigentlich nicht ist.

Exakt. Manchmal ist zu beobachten, dass es in unterschiedliche Richtungen geht. Jemand mit der mentalen Konstitution einer Maus versucht, ein Elefant zu werden. Da geht es nach hinten los. Dass man im Heimatdialekt schwätzt, reicht nicht, um den Klopp-Effekt zu erzeugen. Das ist nicht automatisch authentisch, dazu gehört mehr.

Eine interessante Art der Kommunikation praktiziert Pep Guardiola. Er findet selbst in größter Not einen Aspekt, für den er seine Spieler loben kann und tut das dann auch. Er kritisiert öffentlich so gut wie nie. Seine Formulierungen “beste, beste” oder “super, super” haben fast schon Kultstatus. Wie kommt das bei einem Spieler an?

Das baut auf, aber man sollte die andere Seite nicht völlig ausblenden. Wenn er beispielsweise sagt: “Der Spieler ist ein brillanter Techniker, hat aber diese und diese Defizite”, ist es glaubwürdig und authentisch. Wenn er aber nur immer das Positive herauszieht, entsteht der Effekt der Unglaubwürdigkeit, weil es dann so aussehen würde, als würde man es sich immer zurechtlegen. Pep behält die Glaubwürdigkeit bei den Spielern, wenn er gegenüber den Medien die guten Aspekte herausstellt, im Vier-Augen-Gespräch mit dem Spieler aber alles bespricht – auch die Defizite.

Kann ein Spieler das so klar differenzieren, wenn er am Samstagabend medienwirksam gelobt wird und am Sonntag im Training dann einen Einlauf bekommt?

Wenn ein Trainer so agiert, ist das nicht sonderlich clever. Es muss eine unausgesprochene Regel geben, wie man sich gegenüber den Medien positioniert und wie man dann mit dem Thema umgeht. Die Variante, den Spieler mit Härte abzuwatschen, ist aber kaum noch ein Mittel, zu dem die Trainer heutzutage greifen. Vielleicht machen das noch ein paar aus der älteren Generation.

Werner Lorant sagte einmal: “Warum soll ich mit einem Spieler sprechen? Über was soll ich mit ihm sprechen?” Erfolg hatte er über weite Strecken. Zieht die Methode heute noch?

In dem Moment, in dem er das sagt, spricht er mit dem Spieler. Kommunikation findet auch dann statt, wenn man sagt: “Ich rede jetzt nicht mit dir.” In dem Moment gibt er Richtung Mannschaft ein klares Statement ab. Es kann sein, dass es heute noch Situationen gibt, bei denen die Methode passen würde. Wenn ich weiß, die Mannschaft weiß alles, sie hat alles gehört, ruft aber die Leistung nicht ab, dann kann so eine Ansage noch gerechtfertigt sein. Das kann aber kein grundsätzlicher Stil sein. Die Spieler wollen heute verstanden werden, sie wollen abgeholt werden.

Einer der alten Schule ist Huub Stevens. Dieser hat in der Vorsaison lange Zeit den “harten Hund”, der er ja eigentlich auch ist, verkörpert. Irgendwann durchlebte er aber eine Wandlung, wurde beim VfB Stuttgart im Saison-Endspurt fast schon zum Kumpel der Spieler. Wie geht das?

Er hat die richtigen Gedanken gehabt. Entweder hatte er gute Berater um sich oder er hat für sich nachgedacht, was in der Situation angebracht ist. Er wechselte den Führungsstil, es kamen Freude und Spaß beim VfB Stuttgart auf und nur so kann eine Mannschaft Leistung abrufen. Er hat auf eine schöne und authentische Art Spaß hineingebracht und ich glaube, das liegt ihm auch. Stevens ist ein Mensch, der für Spaß steht.

Würden Sie so weit gehen, dass sein Stilwechsel den VfB in der Liga gehalten hat?

Es waren viele Tropfen, die das Leistungsglas so voll gemacht haben, dass es für den Klassenerhalt gereicht hat. Das war sicher einer davon – und er war notwendig. Ich als Coach, der mit seinen Klienten und Vereinen viel auf mentaler Basis arbeitet, bin von der großen Wirksamkeit überzeugt. Erinnern Sie sich doch an den Affentanz…

Die Stuttgarter Spieler mimten beim Torjubel gegen den Hamburger SV Affen, nachdem Stevens die Spieler im Training zuvor als solche beschimpft haben soll.

Der Tanz war abgesprochen. Die Spieler waren unbewusst davon überzeugt, dass sie den Affentanz vorführen können, sonst hätten sie ihn nicht geprobt. Das war für mich ein Signal, dass in der Mannschaft etwas passiert ist. Denn wenn ich davon ausgehe, dass ich einen Freudentanz vorführen kann und diesen trainiere, dann gehe ich auch davon aus, dass ich Erfolg habe.

Die VfB-Spieler handelten da vielleicht sogar gegen den Trend. Die Protagonisten der Bundesliga legen inzwischen extrem viel Demut an den Tag. Nur wenige formulieren große Ziele, kommen lieber aus der Deckung. Wo ist der Mut hin?

Das resultiert aus den Erfahrungen mit den Medien. Die Aussagen werden überspitzt. Dann steht da in fetten Lettern, dass der FC Augsburg Meister werden will. Die Außendarstellung ist dann aber oft so demütig, dass es fast nicht mehr glaubhaft ist. In den Interviews ist ein Unterton zu hören, man gibt die Message: “Ich sag euch das jetzt nicht, sonst fliegt mir das um die Ohren.” Es wäre schöner, wenn man einen anderen Umgang mit den Erwartungen, der Leistungskompetenz und der Selbstüberzeugung hätte. Dass man eben mal sagt: Das ist mein Ziel! Denn aus meiner Sicht ist diese Demut durchaus kontraproduktiv.

In welcher Hinsicht?

Auch wenn man weiß, dass es bei diesen Aussagen nur um die Außendarstellung geht, hat das Wirkung auf die Spieler und deren Leistung. Wer tiefstapelt, sollte sich dessen bewusst sein, wie das bei den Spielern ankommt. Denn man will ja, dass die Mannschaft Ziele erreicht.

Bei Bayer Leverkusen predigt Rudi Völler seit Jahren gebetsmühlenartig, dass der FC Bayern unerreichbar ist. Ist das kein schlechtes Signal an das eigene Personal?

Es ist eindeutiges Signal. Wenn ich das so kommuniziere, dann will ich vermeiden, dass ich falle, nachdem ich gegen die Bayern verloren habe. Die Niederlage gegen Bayern ist da auch schon programmiert, sie ist legitim und damit ein Bestandteil des Gesamtkonzepts. Man kann das so machen, aber dann wird man die Bayern nicht schlagen. Diese Demut ist in der Liga schon stark verbreitet und es wäre schön, wenn sich die Klubs eher wie der VfL Wolfsburg positionieren würden.

Dort traut man sich inzwischen etwas aus der Deckung.

Richtig. Die Wolfsburger sagen: Die Bayern stolpern auch mal und wenn sie stolpern, sind wir da. Das ist auch Tatsache: Die Bayern hatten in der abgelaufenen Saison nicht die erste Position in den direkten Duellen unter den ersten Sechs, sondern die Letzte. Dessen sollte man sich bewusst sein und das wahrnehmen. Das sorgt auch dafür, dass die Mannschaft dann in der Lage ist, ein Bild aufzubauen, indem sie träumt, die Bayern zu bezwingen und mordsmäßig zu feiern.

Der VfL Wolfsburg ist ein ambitionierter Klub mit einem riesigen Konzern im Rücken. Muss man da sogar nicht noch offensiver werden, um mit den Zielen der Weltmacht, die dahinter steht, in Einklang zu stehen?

Es gibt sicher eine Abstimmung in der Außendarstellung, damit die Ausrichtung des Klubs und des Konzerns übereinstimmen. Aber ich würde nicht so weit gehen, dass man die Außendarstellung vom Konzern ableiten lassen kann. Wenn es nicht passen würde, würde man das dem Klub schon sagen. Schauen Sie sich diverse Regionen an, in denen große Konzerne nicht auf dem Trikot zu sehen sind. Das hat schon was mit der Darstellung des Vereins zu tun.

Gegen den Strom schwimmt RB Leipzigs Ralf Rangnick, der durchaus selbstbewusst auftritt. Meister werden? Warum nicht? Champions League? Warum nicht? Mario Götze? Warum nicht? Ist es inzwischen Luxus, ein selbstbewusstes Auftreten zu haben?

Ich weiß nicht, ob es Luxus ist. Vielmehr ist es eine Qualität. Wichtig ist, dass man dabei authentisch und glaubwürdig bleibt, dass man auch selbst glaubt, was man da sagt. Wenn Ralf Rangnick “warum nicht?” meint, dann soll er das auch so sagen. Er hat genug Erfahrungen in die anderen Richtungen gemacht und sehr professionell mit sich gearbeitet, um in diese Positionen zu kommen, um dieses Selbstbewusstsein zu zeigen und sich nicht kleiner zu machen, als er sich fühlt.

Rangnick hatte vor Jahren einen Burn-out, ist aber wieder zurück im Geschäft und jetzt sogar auf die Trainerbank zurückgekehrt. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?

Ich finde es bezeichnend für einen Menschen, der in einer Burn-out-Situation war. Ich habe mit vielen Menschen gearbeitet, die in einem Burn-out waren oder sind. Wer hoch hinaus will, der war vorher in tiefen Tälern. In der Nachbetrachtung gibt es nichts Besseres, als den tiefsten Punkt zu erreichen, um nachher in Höhen zu kommen, die man zuvor nicht erreicht hat. Wenn man durch diese Phase kommt, wird man stärker, als man es vorher jemals war.

Tiefe Täler sind ein gutes Stichwort, wenn man über den Hamburger SV spricht. Dort erreicht man fortwährend einen noch tieferen Punkt, aber der HSV stemmt sich dann doch jedes Mal gegen das bittere Ende und schafft es immer wieder. Ist das in erster Linie ein mentaler Erfolg?

Definitiv. Durch Erfahrungen prägen sich gewisse Muster in Menschen ein. Beim HSV ist das so nicht nur bei den Fans so, sondern auch bei den Spielern. Ja, sie kämpfen wiederholt gegen den Abstieg, aber wenn die Relegation ansteht, sind sie da und drehen das. Das steckt in den Köpfen der Spieler, aber auch in den Köpfen der Gegner. Das kann durchaus ein entscheidender Faktor sein.

Nach Rückschlägen gibt man sich beim HSV inzwischen fast schon routiniert. Bruno Labbadia wehrt negative Energie ab, sagt auch, dass Rückschläge kaum noch berühren. Können ständige Negativerlebnisse wirklich so stärken?

Ich glaube jedem Menschen zunächst einmal, was er sagt. Ich weiß aber nicht, ob er davon überzeugt ist. Jedes gesprochene Wort, jede Schlagzeile hat eine Wirkung auf einen Menschen. Allerdings verändert sich diese Wirkung: Wenn man viel drangsaliert wird, viel gepiesackt wird und trotzdem immer wieder aufsteht und weiterläuft, entsteht ein Schutzschild. Aufgrund der Erfahrung nervt das dann nicht mehr so. Dann hat man ein hohes Selbstbild und weiß, dass man über gewissen Dingen steht.

Interessant ist die Rolle von Rene Adler, der nach Niederlagen mit Nachdruck sich selbst und Kollegen kritisiert, auch Kraftausdrücke dabei benutzt. Ist er gut beraten, den Druck auf diese Weise abzulassen?

Wenn Adlers mentale Grundkonstitution so ist, dass er geradeheraus spricht und diese Kraftausdrücke benutzt, dann sollte er sich auch so darstellen. Aber er sollte sich auch beraten lassen, weil die Wirkung vor der Kamera noch einmal eine ganz andere ist. Es darf ihm und seinem Verein nicht schaden, wenn er authentisch ist. Die andere Seite ist die Professionalität. Es mag für die Medien interessant sein, aber ob es einem selbst gut tut, ist eine andere Frage.